Eine Mutter gewinnt vor dem Sozialgericht die Kostenübernahme für die nächtliche Überwachung

Kennen Sie die DIN A 13 tanzcompany? „Die DIN A 13 tanzcompany ist international eines der wenigen Tanzensembles, deren Mitglieder sich aus Tänzer*innen mit und ohne körperliche Behinderung zusammensetzt“ (www.din-a13.de). Hier geht es nicht um Inklusion, sondern um Kunst und um das facettenreiche Leben in Bewegungsformen und Spiel auszudrücken.

Foto: Ausbildungsprogramm der DIN A 13 tanzcompany M.A.D.E. Mixed-Abend-Dance-Education mit Anastasia Olfert (im blauen Hemd), Foto: privat

Anastasia Olfert ist in der DIN A13 tanzcompany Creative Producer – sie kümmert sich um alles, was mit dem Management der Tanzproduktionen zusammenhängt.

Ihre Tochter, Aurora Jose, 5 einhalb Jahre alt, lernt in der tanzcompany in entspannter und entspannender Atmosphäre über den Tanz und die Bewegung, dass ihr Körper ihr die richtigen Signale sendet und sie lernt, auf diese Signale zu hören.

„Mama, hilf mir bitte, das Wackeln kommt wieder“ ist ein Satz, den Anastasia von ihrer Tochter hört, wenn das Mädchen tagsüber merkt, dass sich ein Anfall anbahnen könnte oder dass sich etwas verändert in ihrem Körper oder ihrer Wahrnehmung. Über die Grenzen des Körperlichen hinaus versuchen Mama und Tochter, Alternativen neben der notwendigen klassischen medikamentösen Behandlung und der Anfallsüberwachung mit NightWatch zu finden, die die Lebensqualität steigern und darüber hinaus Freude und Motivation bringen. „Es ist wichtig, dass die Kinder ihre Ressourcen wie Stärke und Resilienz kennen und dass sie sie in notwendigen Momenten einsetzen können“, sagt Anastasia Olfert. „Wir lernen das über Atemübungen, Tanz, Bewegung, Zugang zur Körperlichkeit, und wir haben auch Tonis mit Entspannungsreisen und wir machen ab und zu Wellness“. Die Medikamente machen ihre Tochter oft müde und benommen, und durch die Freude an der Bewegung und die Rhythmik des Tanzes kann ihre Tochter diese Benommenheit abschütteln.

Ihre aufgeweckte Tochter Aurora hat das Wort „wackeln“ für ihre epileptischen Anfälle, die überwiegend während des Schlafs auftreten, erfunden und kündigt ihrer Mutter mögliche Anfälle mit dem Satz „Mama, das Wackeln kommt wieder“, an. Durch dieses Wort kann das Kind die Krankheit und die Symptome gut akzeptieren.

Bei Aurora wurde die Epilepsie im Rahmen des West-Syndroms / BNS-Epilepsie mit 7 Monaten diagnostiziert.

Anm. Verfasserin: lt. ILAE ist das West-Syndrom seit seinem ersten Erscheinen (1841) als epileptisches Syndrom im Kindesalter anerkannt (Klassifikation nach ICD-10: G40.4, sonstige generalisierte Epilepsie und epileptische Syndrome) und gilt als Paradigma eines epileptischen Syndroms, das zu einer neurologischen Verschlechterung (epileptische Enzephalopathie) führt und Gegenstand zahlreicher Studien ist, die darauf abzielen, die komplexen Beziehungen zwischen einer epileptischen Störung und der Neuroentwicklung zu verstehen. BNS bezieht sich auf „Blitz-Anfälle, Nick-Anfälle und Salaam-Anfälle“

Das West-Syndrom gilt als therapieschwierig bis therapieresistent, das heißt, trotz Medikation treten Anfälle auf. Glücklicherweise wurde Aurora direkt mit dem ersten Medikament für 1,5 Jahre anfallsfrei. Mit zweieinhalb Jahren kamen die Anfälle zurück, und alle Anfälle kamen aus dem Schlaf heraus. Aurora ist Bauchschläferin und krampfte ins Kissen. Die Prognose bei West-Syndrom ist mit reduzierter Lebenserwartung verbunden und dementsprechend geht eine erhöhte psychische Belastung und Stress der Betreuer damit einher. Die Mutter ist berufstätig und die Tochter schläft im eigenen Zimmer. Aufgrund der Erkrankung und der Art der epileptischen Anfälle des Kindes hat die Mutter Angst, dass während des Schlafs etwas passiert. Die Berufstätigkeit der Mutter mit einem beeinträchtigten Kind ist deswegen möglich, weil Anastasia Olfert ein familiäres unterstützendes Netzwerk hat. Ihre Eltern kümmern sich mit um Aurora oder begleiten sie unter anderem auch mit ins Krankenhaus. „Nicht alle Eltern haben die Ressourcen, um so wie ich berufstätig zu sein, dafür bin ich sehr dankbar“.

Bei den Proben mit der DIN A 13 tanzcompany, Aurora mittendrin. Foto: privat

Im Juni 2021 hat die behandelnde Ärztin im SPZ Köln die NightWatch verordnet. Frau Olfert hatte die NightWatch vorher ausprobiert (Trageposition am Arm und dann aufgrund der BNS-Epilepsie am Bein) und war sehr zufrieden. Mutter und Kind schliefen gut, weil sie sich auf ein Hilfsmittel mit hoher Sensitivität verlassen konnten. Die Ärztin hat die NightWatch aufgrund der Multimodalität und Mobilität empfohlen. Messung der Herzfrequenz und Bewegung/Körperposition ist für die Anfallsarten des Kindes besser geeignet. Dies begründete die Ärztin in Ihrem befürwortenden Schreiben an die Krankenkasse.

Die HEK hat den Antrag für die NightWatch abgelehnt und ein Epicare empfohlen. Den Widerspruch der Mutter mit einer erneuten Begründung der Ärztin hat die Krankenkasse wiederholt abgelehnt. Es gab weder einen Anruf der Krankenkasse noch irgendeinen persönlichen Kontakt – die Ansuchen wurden formell ohne weitere Begründung abgelehnt. „Eltern müssen sich ständig rechtfertigen, wenn sie ein Bedürfnis für ihr erkranktes Kind und eine Unterstützung benötigen, dabei haben wir mit der Pflege und Betreuung und der notwendigen Berufstätigkeit schon sehr viel zu tun. Niemand hat je mit mir gesprochen, es gab kein persönliches Gespräch und es wurde kein Raum für Individualität eingeräumt. Das geht sehr aufs Gemüt“, sagt Anastasia Olfert im Rückblick auf das Antragsverfahren.

Frau Olfert wurde dann Mitglied im Sozialverband VdK Deutschland, ihr wurde ein Jurist zugeteilt und der VdK hat das Verfahren vor dem Sozialgericht Köln übernommen. Die Vorbereitung für das Verfahren war viel Aufwand, es mussten von Geburt an alle Krankenhausaufenthalte, Arztbesuche, Befunde, Verordnungen etc. nachgewiesen werden. Es wurde von einem renommierten Epileptologen ein Gutachten angefordert und bei Gericht eingebracht.

Das Sozialgericht hat dem Antrag der Mutter im Januar 2023 recht gegeben und die HEK hat den Antrag auf Kostenerstattung der NightWatch jetzt genehmigt. Von Seiten der HEK kam ein Schreiben, in dem „die Kostenübernahme nach erneuter Prüfung“ bestätigt wurde.

Wenn Anastasia bei den Großeltern schläft oder wie kürzlich bei einer Freundin, dann geht natürlich die NightWatch mit. Was für Aurora aber noch wichtiger ist, ist, dass der Yoyo, das NightWatch Kuscheltier, mitgeht. „Wenn der Yoyo dabei ist, Mama, dann bin ich nicht allein, dann können wir beide ins Bett gehen und wir verpassen das Wackeln nicht“, so Aurora.

Aurora im Schlaf 😊. Foto: privat

In der nächsten Zeit möchte Frau Olfert mit ihrer Tochter eine Mutter-Kind-Kur machen und wieder FAMOSES-Auffrischungsschulungen. Ihr gefällt der Kontakt und Austausch unter Gleichgesinnten. Ab August 2023 wird Aurora zur Schule gehen (1. Klasse) – sie haben die „Aktive Schule“ –  eine fördernde, integrative Schule, gefunden, in der mehrere Kinder mit Epilepsie aufgenommen werden und auf die sich beide schon freuen.

Auf die Frage, woher sie ihre Energie findet, antwortet Anastasia Olfert „Die Energie bekomme ich von meinem Elternhaus und aus Ihrem Selbstverständnis meiner Arbeit mit Menschen, die das Gefühl dafür haben, dass sie andere Bedürfnisse haben und dass es selbstverständlich ist, dass man unterschiedliche Bedürfnisse hat. Ich schaue auf mich, ich hatte auch eine gute Sozialarbeiterin und bekomme Unterstützung vom Familienentlastungsdienst, die auch schon gut wissen, wie sie mit der NightWatch umgehen müssen“.

Und auf die Frage, wie sie als Mutter das „Wackeln“ ihrer Tochter erlebt, sagt sie „ Wenn ein Körper krampft, krampft der andere (der Beobachter, Betreuer) auch. Den Eltern muss es gut gehen, damit es den Kindern gut geht. Vor einem Jahr hatte ich einen Bandscheiben-Vorfall, da habe ich gemerkt, es geht nicht mehr, ich habe keine Kraft mehr. Mit Hilfe von Physiotherapie und Osteopathie habe ich die Schmerzen ohne Operation überwunden. Vieles braucht oft einfach zur Zeit und Geduld – man muss natürlich etwas dafür tun, damit sich die Dinge zu Guten wenden, und dafür ist es wichtig, dass man seine Ressourcen kennt und auf diese zurückgreifen kann“.

 

Vielen Dank für das interessante Interview!

Liebe Grüße, Birgit E. Langen