Aus Sicht der Mutter – Loslassen, ohne zu vergessen
Unsere Tochter ist 14. Sie geht in die neunte Klasse und will das, was alle in ihrem Alter wollen: Freiheit, Unabhängigkeit, ihr eigenes Leben. Aber sie hat Epilepsie. Und das macht den Weg in die Selbstständigkeit etwas komplizierter.
Wir wohnen in der Nähe vom Strand. Sie liebt es – mit Freundinnen dort abhängen, Musik hören, Selfies machen. Aber schwimmen? Das geht nicht. Solange ihre Epilepsie unberechenbar ist, ist das Risiko zu groß. Sie versteht das, aber es ist trotzdem schwer.
Auch das Reiten liebt sie. Seit sie klein ist, reitet sie einmal pro Woche. Doch schweren Herzens mussten wir das erstmal stoppen. Ein Anfall beim Reiten wäre einfach zu gefährlich. Solche Gespräche sind alles andere als leicht – vor allem, wenn sie sich einfach nur wie alle anderen fühlen will.
Trotzdem versuchen wir, ihr so viel Freiheit wie möglich zu geben – innerhalb sicherer Grenzen. Allein mit dem Rad zur Schule? Ja. Mit geladenem Handy, klaren Absprachen und kurzem Check-in bei Abfahrt und Ankunft. In die Stadt mit Freundinnen? Auch ja, solange wir wissen, mit wem sie unterwegs ist und sie erreichbar bleibt. Allein zu Hause? Geht auch – wenn wir uns gut abstimmen.
Dann war da noch die Klassenfahrt. Zum Glück durfte sie mitfahren. Aber unter einer Bedingung: Ich musste als Begleitperson mit. Für sie war das ein zweischneidiges Schwert. In der neunten Klasse will man selbstständig sein, ohne die Eltern im Nacken. Für mich war das auch nicht ideal, aber ich verstehe die Entscheidung der Schule. Und ehrlich gesagt: Ich hätte mich auch nicht wohlgefühlt, wenn ich nicht dabei gewesen wäre.
Nachts trägt sie die NightWatch. Das gibt uns als Eltern ein bisschen mehr Ruhe, weil das System uns im Notfall bei Anfällen weckt. Nicht nur zu ihrer Sicherheit, sondern auch damit wir endlich mal besser schlafen.
Die größte Herausforderung bleibt: das richtige Maß finden. Natürlich wollen wir sie schützen. Aber wir wollen auch, dass sie ihr Leben lebt. Sie ist ein Teenager, mit Träumen, Plänen und Grenzen, die sie selbst austesten will. Und sie verdient es, sich frei zu fühlen – trotz der Risiken.
Es ist ein Lernprozess. Für sie, aber auch für uns. Manchmal geben wir ihr zu viel Freiraum, manchmal halten wir zu sehr fest. Aber wir reden viel, passen uns an und suchen gemeinsam, was funktioniert. Denn am Ende wollen wir alle dasselbe: Dass sie einfach Kind sein kann. Mit Epilepsie, ja – aber nicht nur das.
Aus Sicht der Tochter – Ich will einfach nur mitmachen
Ich bin einfach ein ganz normales 14-jähriges Mädchen. Manchmal vergesse ich fast, dass ich Epilepsie habe. Und manchmal denke ich an nichts anderes. Es ist komisch, weil man es mir von außen nicht ansieht. Ich fühle mich ganz normal. Und trotzdem ist da immer etwas, das andere nicht haben.
Ich will einfach die Dinge machen, die alle in meinem Alter machen. An den Strand gehen, zur Schule radeln, in der Stadt shoppen. Und meistens darf ich das – aber immer mit Extra-Regeln. Handy aufgeladen, Bescheid sagen, wenn ich losgehe, sagen, mit wem ich unterwegs bin, wann ich wieder da bin… Ich versteh das ja. Meine Eltern meinen es gut. Aber manchmal nervt es eben.
Zum Beispiel Schwimmen. Wir wohnen so nah am Meer, und alle springen an heißen Tagen ins Wasser. Nur ich bleibe am Strand. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich am Rand meines eigenen Lebens stehen. Als müsste ich zusehen, wie alle anderen einfach weitermachen. Und Reiten… das war echt mein Ding. Da konnte ich alles vergessen. Jetzt muss ich erstmal warten, bis es wieder sicher ist. Das ist hart, auch wenn ich weiß, dass es nicht für immer ist.
Dann die Klassenfahrt… ja, ich durfte mit, und ich war echt froh darüber. Aber meine Mutter musste halt mit. Und ehrlich? Das war schon komisch. Die meisten sehen ihre Eltern die ganze Woche nicht. Ich schon. Immer in der Nähe, immer wachsam. Sie hat sich echt zurückgehalten – aber trotzdem: Ich will einfach mal fahren, ohne extra Sorgen. Ohne extra Erklärungen. Einfach so wie die anderen.
Nachts trage ich die NightWatch, das hilft. Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Und ich weiß, dass meine Eltern dadurch besser schlafen können, das beruhigt mich auch. Manchmal habe ich Angst, dass Leute mich anders sehen. Oder Mitleid haben. Aber das will ich gar nicht. Ich bin nicht „meine Epilepsie“. Ich bin ein Teenager mit Träumen, mit großer Klappe und ein bisschen Sturheit.
Ja, manchmal muss ich mehr planen oder kann nicht alles mitmachen. Aber das heißt nicht, dass ich weniger wert bin.
Meine Eltern geben sich Mühe, mir so viel Freiheit wie möglich zu lassen. Und ich verstehe, dass sie manchmal Angst haben. Ich hab sie ja auch. Aber ich will lernen, mit meiner Epilepsie zu leben – nicht gegen sie. Und ich glaube, das klappt. Schritt für Schritt. Auf meine Art.
Gemeinsam lernen, gemeinsam wachsen
Epilepsie macht das Leben nicht unmöglich – aber es braucht Anpassung. Für Kinder und Eltern. In dieser Geschichte zeigen Mutter und Tochter, wie offene Gespräche, Hilfsmittel wie die NightWatch und gegenseitiges Vertrauen mehr Sicherheit, Freiheit und Verständnis schaffen können.
Denn mit Liebe, Geduld und ein bisschen Mut ist oft mehr möglich, als man denkt.
